JOHANNA
Portraits und Interview
Veröffentlicht auf bento und Spiegel Online, Januar 2017
Jeder zweite Mensch in Deutschland erkrankt in seinem Leben an Krebs. Jeder Zweite?! Die Großeltern vielleicht oder sogar die Eltern, Tanten, Onkel. Aber doch niemand in unserem Alter. Oder doch? Über Krebs spricht man nicht. Krebs ist Leiden, Krebs ist Tod.
Johanna ist 22 Jahre alt. Nach dem Abitur arbeitet sie ein bisschen, macht ein bisschen Praktikum, studiert ein bisschen. Erst mal schauen, was zu ihr passt. Sie trifft sich mit Freunden, geht feiern, reitet gerne und hat einen kleinen Chihuahua.
Alles normal, alles super. Bis ihr gesagt wird, dass sie Krebs hat.
Rums. Das war’s. Chemotherapie und Tabletten bestimmen ihren neuen Alltag. Aber Johanna gibt nicht auf, sie kämpft. Und sie zeigt der Welt, was es heißt zu kämpfen. Sie möchte sich nicht verstecken, sondern akzeptiert die Krankheit und deren Folgen als einen Teil von ihr.
Es ist kalt, knapp über Null. Johanna trägt einen langen Mantel, ein Schal wärmt ihren Hals. Die Krankheit hat Spuren hinterlassen: Eine Mütze verbirgt die Glatze, wegen der sie draußen so viel friert. Sie wirkt selbstbewusst und herzlich.
Zurzeit wohnt sie wieder im Haus ihrer Mutter und ihres Stiefvaters. Vor dem Eingang steht eine Weihnachtsmannfigur, ihre Mutter mag sie, der Stiefvater nicht – deswegen hat er einen „Zum-Mitnehmen-Zettel“ drauf geklebt. Johanna lacht und schließt die Tür ins Warme auf.
Bei einer Tasse Tee erzählt sie, wie die vergangenen Monate ihr Leben verändert haben:
„Noch im August war ich mit einer Freundin und meinem kleinen Hund auf Backpackingtour durch Europa. Es war ein super schöner Sommer, wir hatten eine gute Zeit.
Anfang September saß ich bei meinem Vater am Esstisch und bemerkte einen Knubbel am Hals. Meine Stiefmutter ist Ärztin und hat mich direkt am nächsten Tag mit in die Klinik genommen. Am 13.09. habe ich die Diagnose bekommen.
Ich saß auf dem Bett in meinem Krankenhauszimmer, als der Arzt herein kam. Er schaute mich an und ich wusste sofort, dass er keine guten Neuigkeiten hat: Ich habe das Morbus Hodgkin Lymphom, einen bösartigen Lymphknotenkrebs. Stadium drei von vier, ohne Behandlung tödlich.
Schock: Okay, ich habe Krebs. Ich hatte Angst, nur noch die zu sein, die Krebs hat. Nicht mehr ich. Das ist Johanna, und die hat Krebs. Oder noch besser: Das ist die, die Krebs hat.
Nach der Diagnose habe ich eine halbe Stunde lang geweint. Dann habe ich mir gesagt: Das ändert nichts, du packst das jetzt. Du musst das packen. Ich habe meiner Familie und meinen Freunden gesagt, dass ich kein Mitleid will. Sonst falle ich in ein Loch. Da gehe ich kaputt dran.
Ich bin wütend. Ich finde es einfach total unfair. Ich habe nie großartig geraucht, ich bin keine Trinkerin, ich bin kein Mensch der sich nicht bewegt, ich bin nicht ungesund. Und ich habe auch niemandem was Böses getan. Jetzt bin ich 22 und habe Krebs. Danke, warum denn? Womit habe ich das verdient? Alles, was ich an Kontrolle hatte, ist weg. Ich bin von jetzt auf gleich komplett aus meinem Leben raus und in der Krankheit drin.
Auch wenn es vorbei ist, wird es nie wieder so sein wie vor der Krankheit. Nach der Chemotherapie habe ich nur noch eine Chance von 30 Prozent, auf natürlichem Weg schwanger zu werden. Ich bin Anfang 20, ich träume von einer eigenen Familie, vom Leben. Mir wurden künstlich gezüchtete Eizellen entnommen und eingefroren, damit ich noch Mutter werden kann. Die Kosten für die Behandlung übernimmt die Krankenkasse nicht.
Schon nach der ersten Strahlenbehandlung hat mein Kopf angefangen zu kribbeln. Meine Haare wurden ganz stumpf, trocken und spröde. Ich habe bei einem Kumpel übernachtet, als sie morgens nach dem Duschen büschelweise ausgefallen sind. Sie waren einfach überall: im Handtuch, auf meinen Klamotten, auf dem Boden, auf dem Sofa. Ich hatte das Gefühl, zu zerfallen.
Daraufhin habe ich meinem Kumpel einen Rasierer in die Hand gedrückt und gesagt, dass er sie weg machen soll. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen soll, ob ich zugucken oder wegschauen will. Mein Kumpel hat viele Witze gemacht, das hat mir geholfen. Er hat selbst schon Geheimratsecken und meinte, dass er ja auch bald eine Glatze haben wird.
Ich habe eine Perücke, die meiner alten Frisur ähnlich sieht. Das wollte ich, aber eher für mein Umfeld als für mich. Anfangs habe ich sie häufig zu Hause getragen, um mich daran zu gewöhnen. Aber irgendwie gefällt sie mir nicht. Als Experiment habe ich mir noch einige bunte Perücken bestellt.An einem Tag habe ich die verschiedenen Perücken aufgesetzt und mich geschminkt. Es hat sich so angefühlt, als würde ich unterschiedliche Rollen für mich suchen, zu jeder Perücke eine Persönlichkeit. Aber das bin dann ja nicht ich. Mir ist klar geworden, dass ich nicht drumherum komme. Es wird mir viel zu anstrengend, mich permanent hinter Kunsthaaren und Make-up zu verstecken.
Seitdem ich das für mich klar habe, kann ich offensiv und ehrlich mit meiner Krankheit umgehen. Mein Körper sieht jetzt so aus, wie er aussieht. Das ist frustrierend, aber das ist so. Meine Freunde und Familie gehen sehr lieb mit mir um, ich bekomme viele Komplimente. Nur für meinen Vater ist es schwer, mich mit Glatze zu sehen. Seine Eltern sind beide an Krebs gestorben und ich habe das Gefühl, dass es ihm schwer fällt, mir in die Augen zu schauen.
Im Restaurant oder Zug werde ich häufig angeschaut. Ich versuche, das nicht persönlich zu nehmen. Es kann halt nicht jeder damit umgehen, eine junge Frau ohne Haare zu sehen. Keiner wird gerne mit einer tödlichen Krankheit konfrontiert. Das gilt für Fremde, sowie für Menschen aus meinem Bekanntenkreis. Aber ich finde es wichtig, dass Krebs mehr Aufmerksamkeit bekommt als: ‚Mein Opa ist letztes Jahr daran gestorben.‘
Die Krankheit ist so willkürlich, so unangenehm und gleichzeitig so weit weg. Bis man sie selbst bekommt.“